Montag, 24. September 2018

#6 über alte Freundschaften

In meinem Leben hatte ich wenige Freunde, wenn ich so zurück schaue. Ich hatte immer Mühe damit. Früher wusste ich nicht, woran es liegt, dass ich schwer Freundschaften schließe, gern gehänselt oder gemieden werde und mich regelrecht abrackern muss um Anschluss zu finden.
Ich schätze, ich war schon immer anders, doch als Kind ist anders sein nicht so vorteilhaft, weil Kinder grausam und gemein sind.



Solange es um Mädchenspielzeug und Kindergeburtstage ging, war zu meiner Zeit noch alles offen, doch der Wechsel von Grunschule zu Sekundarschule änderte nicht nur die Kinder sondern auch ihre Weltanschauung. Es gab die wenigen, die beliebt waren und die, die denen hinterher liefen. Darauf verstand ich mich kaum. Ich habe im Grunde nie bei Unsinn mitgemacht, habe ungern über andere gelacht oder mich eben bei Hänseleien zurück gezogen. Damit errang ich unfreiwillig einen der ersten Plätze auf der Unbeliebtheitsliste.
In den beiden Entscheidungsjahren, der 5. und 6. Klasse auf der Sekundarschule hatte ich zwei Freundinnen. Das war´s. Mehr war nicht drin.
Während die anderen begannen, sich für das jeweils gegenseitige Geschlecht zu interessieren, spiele ich noch mit Barbie und Polly Pocket. Deren Interessen waren nicht meine.

Als ich auf´s Gymnasium wechselte, war ich 14, glaube ich. Ich kam mit einer besonderen Freundin in eine Klasse - wir kannten uns von Geburt an - und hoffte, ich hätte es nun etwas leichter, doch Fehlanzeige. Im Rückblick wurde ich nur geduldet, womöglich aus Pflichtgefühl, da unsere Mütter noch heute befreundet sind.

Unsere Crew bestand aus ebendieser besonderen Freundin, der Anführerin, die über die Klassen hinweg beliebt war. Sie hatte zwei enge Freundinnen. Eine davon hat noch heute einen Platz an ihrer Seite, die andere hat ein eigenes Leben weit weg auf einem anderen Kontinent. Sie war schon immer unabhängiger. Ich bin stolz auf sie. Sie hat es weit gebracht mit einem bedeutsamen Job, einem Haus und einer Familie. Sie wirkt glücklich. Das gönne ich ihr von Herzen. Zuletzt sah ich sie vor Ewigkeiten.

Etwas abseits des inneren Kreises standen Ich und zwei weitere Mädchen.
Eine hat in Berlin studiert, in Japan gelebt, hat inzwischen einen Freund und sich kürzlich verlobt. Obwohl sie immer unser Nesthäkschen war, wusste ich, dass es ihr guttun würde, dieses Umfeld zu verlassen. Aus meiner Sicht litt sie unter der Regentschaft der Anführerin des inneren Kreises. Sie suchte verzweifelt nach Anerkennung, die sie nie bekam. Ich habe oft mit ihr gefühlt.
Einmal sah ich sie am Bahnhof. Wir haben uns beide gefragt, uns jedoch nicht gegrüßt. Ich gratuliere ihr nur noch über Facebook.

Unsere Anführerin hat ihren Posten nie wirklich verlassen. Letzten Monat hat sie geheiratet. Einen ganz großen mit viel Geld, auch wenn sie selbst gut genug verdient in einem angesehenen Job. Zusammen mit ihrem perfekten Kind lebt sie in einem perfekten Haus, fährt ein perfektes Auto, lebt ein perfektes Leben.
Zu ihrer perfekten Hochzeit war ich natürlich nicht eingeladen. Keine von unserer Crew außer einer, der ewigen besten Freundin. Sie wird ihrer Rolle nie entwachsen und ewig das Konfetti hinter der Anführerin aufkehren, dabei hat sie so viel Potential, leider aber auch psychische Probleme - wie ich. Wir hätten uns ehrlich gut verstanden. Sie ist die Chaotin wie ich, die anders denkt und anders tickt. Sie ist kreativ und echt und ehrlich emotional und verquer wie ich. Wenn wir uns mal im REWE treffen, reden wir nie über uns, immer nur über die Anführerin.

Die ist jetzt etwas besseres, ganz offiziell und für alle sichtbar. Für mich war das immer so, doch seit ich als Freundin aussortiert wurde, ist es nicht mehr nur eine Ahnung.
Zuletzt besuchte sie mich in der Klinik. Wenn ich etwas bräuchte, wolle sie für mich da sein, sagte sie mitleidig. Ich kam nie darauf zurück.
Sie hatte sich von ihrer Mutter schicken lassen, um Neuigkeiten über mich zu erfahren. Das war immer ihre Währung. Skandale & Infos über andere. Das ist wohl das einzige, was sich bisher nicht geändert hat.
Sie war immer die Katastrophen-Touristin, die es kaum abwarten konnte, neusten Klatsch und Tratsch mit Familie und Freunden zu teilen, besonders wenn dieser für andere unvorteilhaft ausfiel. Das ist heute noch so. Ob die Familie je all die unvorteilhaften Skandale ihrer Tochter erfahren wird?


Von unserer Crew habe ich noch mit einer Freundin unregelmäßigen Kontakt, dem ich vielleicht noch ein Jahr gebe. Sie ist gerade Mutter geworden und bereitet ein Leben vor, in dem ich - die Kinder meidet - keinen Platz habe. Das ist schade aber okay. Ich verstehe das. Als Mutter würde ich auch keine solchen Freunde wollen sondern die, die auch Kinder haben und lieben und Kinderthemen haben. Bei unserem letzten Treffen sagte ich ihr, sie sei mir von allen Schulfreundinnen immer die liebste gewesen. Sie reagierte verwirrt und etwas verstört. Sie schwieg dazu. Ich glaube, sie hatte Sorge, sie müsse das erwidern. Sicher wäre es eine Lüge gewesen.
Sie hat ihren Weg gemacht und kann zu Recht stolz auf sich sein. Ich bedaure das langsame Auslaufen unserer Bekanntschaft. Wir besuchten zusammen die Grundschule. Sie hatte schon immer das Herz am richtigen Fleck. Sie ist ein großartiger Mensch, dem ich nur das Beste wünsche.

Für ihre Kleine habe ich ein Schnuffeltuch gehäkelt. Ein Häschen mit einer Rassel. Es war ganz schön viel Arbeit und sieht super süß aus. Ich bin jedoch nicht sicher, ob sie es jemals bekommen wird...

Das Leben ist Konzert: auf der Bühne spielt eine Gruppe berühmter Personen im Rampenlicht. Es dürfen einige auserwählte in den Backstage-Bereich, andere sitzen im Publikum ganz vorn. Die normalen Fans begnügen sich mit einem Stehplatz und einem Autogramm und einige wenige stehen draußen hinter dem Zaun, sehen die Lichter und hören leise die Musik, doch sie haben keine Eintrittskarte. Ich bin die ohne Eintrittskarte.

Menschen mit psychischen Störungen sind meist die ohne Eintrittskarte. Während wir gemeinsam draußen stehen, können wir einander kennen lernen und vielleicht feststellen, dass wir nicht nur nicht Teil des Geschehens sein müssen sondern dass es ein Leben außerhalb dieses Konzertes gibt, das zählt und sich zu leben lohnt. Wenn dabei Freundschaften entstehen wie bei mir, kann ich den Blick sogar vom Zaun weg schweifen lassen... es hinter mir lassen und ein eigenes Leben haben. Ein Leben ohne Bühne, ohne Fans und Backstagepässe, dafür aber mit Augenkontakt und Gemeinsamkeiten und Lachen und Weinen und Verstehen. Wir spielen unsere eigene Musik.

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